Hier, im Studio des Aarauer Radiosenders Kanal K, kann Michael Küng endlich sich selber sein. Mit Schaltern, Reglern, Computern und Mikrofon produziert er die
nächste Episode seiner Sendung «Medienwegweiser». Medienikonen wie Roger Schawinski, SRF-Direktor Ruedi Matter und Republik-Gründer Christof Moser liessen sich bereits von Küng interviewen.
«Bei solchen Interviewpartnern würden sich viele Journalisten-Kollegen die Finger abschlecken», grinst er. Dass Michael Küng hier sitzt, ist das Resultat eines imposanten Willens. Denn der
29-Jährige kam mit einer cerebralen Bewegungsbehinderung auf die Welt. Er ist für immer auf den Rollstuhl, auf Hilfe und auf ein Leben in und um Institutionen angewiesen.
«Spinnt er?»
Küngs Bildungsweg war simpel und alternativlos: Sonderschule, IV-Lehre. Obwohl er schon mit sechs Jahren wusste, dass er Journalist werden will. Als
Jugendlicher war er mit Mikrofon und Aufnahmegerät unterwegs, kommentierte etwa das Fussballspiel der Klassenkameraden – und erntete dafür demütigende Unterstellungen. «Viele, die mich
beobachteten, sagten: ‹Jetzt fängt er erst recht an, zu spinnen.›.» Es gebe immer wieder Menschen, so Küng, die ihm als körperlich Beeinträchtigten automatisch auch kognitive Einschränkungen
zuschrieben. «Dabei bin ich mir nur immer treu geblieben.» Dass er sich das Moderieren früh antrainiert habe, davon profitiere er noch heute.
Rolf Schöner, Programmleiter bei Kanal K, bestätigt: «Michael Küng brachte auf der inhaltlichen Ebene schon viel Erfahrung mit.» Das technische Wissen eignete
Küng sich hauptsächlich bei Kanal K an, das als Komplementärradio auch einen Bildungsauftrag für künftige Radiomachende hat.
Michael Küng brauchte einen Umweg, bis er sich traute, seiner Leidenschaft zu folgen. Mit achtzehn Jahren bewarb er sich als Teilnehmer der Jugendsession, einer
jährlichen Politikveranstaltung in Bern für junge Menschen. «Dort ging endlich etwas Interessantes ab», erinnert er sich. Als Michael Küng später Mediensprecher der Jugendsession wurde, kam
er der Pressewelt näher.
Mit 22 schrieb er erste Artikel für ein Jugendmagazin und produzierte Podcasts in Eigenregie. Es gelang ihm, sich bei SRF akkreditieren zu lassen; seither ist
er Stammgast an SRF-Pressekonferenzen. Ende 2016 kam der Sprung zum Radio. «Michael Küngs Hartnäckigkeit hat mich sofort überzeugt», sagt Programmleiter Schöner von Kanal
K.
Zurzeit verdient der junge Journalist kein Geld mit seinem Engagement. Für seinen Lebensunterhalt bleibt er auf die IV-Rente und auf Ergänzungsleistungen
angewiesen. Und auf seine Arbeit im Zeka, dem Badener Zentrum für Körperbehinderte. «In der IV-Institutionenwelt ist die Berufswahl einfach», sagt Küng. Es gebe Büroarbeiten, leichte
industrielle Aufgaben, «und die Fussgänger unter uns können in spezialisierten Gastronomiebetrieben arbeiten – das wars.»
Traum Unabhängigkeit
Michael Küngs Traum ist es, beruflich unabhängig zu sein. Wie viel Kraft es bis dorthin braucht, kann man sich als unbeeinträchtigter Fussgänger kaum
vorstellen. «Die Wege sind ein grosses Problem», sagt Küng. «Oft sehe ich eine Lauberhornabfahrt vor mir.» Wenn seine Begleitung – in der Regel Verwandte oder Bekannte – kurzfristig absagen
muss, rutscht ihm das Herz manchmal in die Hose. Doch wenn ein Interviewtermin steht, dann geht er. «Es würde unprofessionell aussehen, wenn ich wegen meiner Behinderung absagen
müsste.»
Jeder Bahnhof, jede Schwelle, jedes Loch im Trottoir ist für den Rollstuhlfahrer eine Herausforderung. Dazu kommen die «behindertenbedingten Zwischenfälle» und
die «Termine ärztlicher Natur», wie Küng sie nennt – ihm aber nicht weiter erwähnenswert sind. «You can get it if you really want» lautet Michael Küngs Motto, das er von seinem grossen
Vorbild Roger Schawinski übernommen hat.
Ob Küngs journalistische Errungenschaften vielleicht auch gerade seinem Handicap zu verdanken seien? Er zuckt die Schultern: «Das ist möglich. Doch ich lasse
mich von solchen Gedanken nicht stören. Meine Behinderung steht mir sonst schon genug im Weg.» Ausserdem habe jeder Mensch irgendeinen Vorteil, den er für sich nutzen könne. Unterstützung bei
seinem Vorhaben, den Herzenswunsch zu erfüllen, bekommt Küng beim Verein Winklusion. Ziel von Winklusion ist es, dass jeder Mensch auf Basis seiner Kompetenzen an der Gesellschaft teilhaben
kann. «Persönliche Zukunftsplanung» heisst die Methode dazu. «Seitdem ich nach dieser Methode begleitet werde, steht nicht mehr meine Behinderung, sondern mein Können im Mittelpunkt», sagt
Küng. Sogar Küngs religiöse Gedanken drehen sich um das neu gewonnene Selbstvertrauen: «Ich glaube nicht an Gott im herkömmlichen Sinn. Göttlich ist für mich die Kraft der
Leidenschaft.»
Gegenseitige Anerkennung
Michael Küngs Passion für die Medien sei aus seinem «Fan-Tum» fürs Fernsehen entstanden. Zwanzig Jahre später ist die Anerkennung gegenseitig. SRF-Direktor
Ruedi Matter: «In einer Zeit, in der es kaum noch Medienjournalisten gibt, freut es mich sehr, dass sich ein junger Mann diesem Thema mit so viel Herzblut und Sachverstand verschrieben hat.»
Wer es, wie Michael Küng, gewohnt ist, das Lauberhorn hinabzufahren, lässt sich nicht leicht bremsen.